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A NO MAN SHOW - An Evening with Andy Warhol

TELEGRAMM
Kein Künstler hat auf der Schnittstelle von Kunst, Selbstdarstellung, Medialisierung und Konsum so viele gesellschaftliche Entwicklungen antizipiert, mitgeprägt und genutzt wie Andy Warhol. In ihrem Theaterprojekt "A NO MAN SHOW - An Evening with Andy Warhol" blickt United Puppets aus heutiger Perspektive zurück auf das "Prinzip“ Andy Warhol. Ausgangspunkt des Theaterabends ist ein unrealisiertes Broadway-Theaterstück Warhols, in dem er von einem hyperrealistisch animierten Roboter vertreten werden sollte. Die Reproduktion der eigenen Person als Transzendenz seines seriellen Konzepts - gemäß seinem Motto "I want to be a machine".


BESCHREIBUNG

„Irgendeine Firma wollte neulich meine Aura kaufen. Sie wollten nicht mein Produkt. Sie sagten immer wieder: ‘Wir wollen Ihre Aura." (Andy Warhol)

Mit Andy Warhols Tod scheiterte ein großes Theater-Projekt, das er gemeinsam mit Peter Sellars und Lewis Allen für den Broadway entwickelt hatte: „An Evening with Andy Warhol“, eine One-Man-Bühnenshow, in der sich Warhol von einem hyperrealistisch animierten Roboter darstellen lassen wollte. Das 1983 im kalifornischen Valencia von Alvaro Villa gebaute und eine halbe Million Dollar teure Alter Ego hätte Andy Warhols „Philosophy“ auf der Bühne perfekt verkörpert – die Reproduktion der eigenen Person als Transzendenz seines seriellen Konzepts.

Kein Künstler hat auf der Schnittstelle von Kunst, Selbstdarstellung, Medialisierung und Konsum so viele gesellschaftliche Entwicklungen antizipiert, mitgeprägt und genutzt wie Andy Warhol. Heute realisiert sich seine Prognose, jeder könne in Zukunft für 15 Minuten ein Star sein, täglich im World Wide Web und unzählige TV-Show-Formate locken mit diesem Versprechen; Warhols strategische, fast ikonografische Arbeit am medialen „Ich“ hatte Vorbildfunktion für die Entwicklung einer milliardenumsatzschweren Branche, die Stars generiert oder Dienstleistungen im Bereich der Selbstverwirklichung anbietet; die Entdeckung der „Aura“ und ihrer (Ver-)Käuflichkeit dominiert Werbung und Lifestyle; die kollektive Lust an Selbstdarstellung und Voyeurismus hat das Leben (als Form „demokratischer“ Teilhabe) bis seine sozialen Netzwerke hinein theatralisiert und medialisiert: Andy Warhols Tagebuch liest sich wie eine historische Inspirationsquelle von Facebook.

In ihrem Puppentheater- und Installationsprojekt blicken die United Puppets aus dem Jahr 2014 zurück auf das „Prinzip“ Andy Warhol – auf seine „No Man Show“. Sie folgen den Spuren, die Warhols „Factory“ im zeitgenössischen (Selbst-)Bewusstsein hinterlassen hat beim Umgang mit Konsum und Medien. Die Bühne reanimiert die alten Mythen der US-amerikanischen Popkultur und lässt sie ihren globalisierten zeitgenössischen Widergängern begegnen. Dabei spielen die Bühnen-Objekte mit der irritierenden Aura des menschlichen Subjekts und stellen das Menschen-Bild einer Gesellschaft in Frage, die unermüdlich am Ich arbeitet.


BESETZUNG
Spiel: Melanie Sowa & Friederike Krahl
Regie: Mario Hohmann
Künstlerische Mitarbeit: Gyula Molnar
Digitale Medien: Friedrich Kirschner
Dramaturgie: Anja Quickert
Puppen & Bühne: www.puppenbau-berlin.de
Regieassistenz: Ramona Schmid

UNITED PUPPETS
Unter dem Label "United Puppets" realisieren Mario Hohmann und Melanie Sowa seit 2006 Theaterprojekte im Spannungsfeld zwischen Schauspiel und Puppenspiel, für die sie sich mit anderen Künstlern zusammenschließen. Auf Einladung des Zentrum Paul Klee in Bern erarbeiteten sie 2008 mit Friederike Krahl ihre erste Inszenierung im Rahmen der Bildenden Kunst, „Über den Klee“, ein Theaterstück gespielt mit den von Paul Klee geschaffenen Handpuppen, das seine Premiere in der Neuen Nationalgalerie Berlin als Teil der Ausstellung „Das Universum Klee“ feierte und auf zahlreichen Festivals und in Museen tourte.
Ihre Auseinandersetzung auf der Schnittstelle von Darstellender und Bildender Kunst setzen sie in der Inszenierung „A No Man Show. An Evening with Andy Warhol“ fort.

Mario Hohmann wurde 1973 in München geboren. Nach seinem Studium der Architektur in Berlin, London und Leipzig gründete er 2002 ein Atelier für Bühnenbild und Puppenbau mit Arbeiten u.a. für das Deutsche Theater Berlin, das Schauspielhaus Bochum und das Schauspielhaus Düsseldorf. Seit 2004 konzipiert und produziert er eigene Theaterprojekte, seit 2006 auch als Regisseur.

Melanie Sowa wurde 1972 in Heilbronn geboren und studierte Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch" in Berlin. Sie ist seit 1998 als Puppenspielerin, Puppenbauerin und Regisseurin tätig. Seit 2003 lehrt sie an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in der Abteilung Puppenspielkunst, seit 2009 als Professorin.

Friederike Krahl wurde 1965 in Bautzen geboren. Sie studierte an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin, Abteilung Puppenspielkunst, und ist seitdem als Puppenspielerin, Regisseurin und Stückautorin tätig. Seit 1996 arbeitet sie als Gastdozentin an der Schauspielschule „Ernst Busch“, der Hochschule für Musik und Theater Zürich sowie der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Nach „Über den Klee“ arbeitet sie zum zweiten Mal im Kollektiv United Puppets.

MATERIAL
"His style of doing things changed everybody's idea of what the values were that could make you a star. And as a result there's this self-consciousness going on everywhere, this use of the media. It's not just what you do now, it's what you say about it, the way you behave, who your friends are. Your life has to reflect it." (Steve Piccolo von den „Lounge Lizards“)


A Das Tagebuch

Donnerstag, den 30. Oktober 1980

Lewis Allen kam mit den Puppenmachern vorbei, die für sein Stück einen Roboter aus mir machen wollen. Wir mussten eine ganze Stunde für sie stillsitzen, damit sie mein Gesicht studieren und beurteilen konnten, ob ich eine gute Puppe abgebe. Sie sahen ulkig aus, diese Leute von Walt Disney, oder wo sie sonst herkamen. Wenn sich ein Roboter bewegen und, sagen wir, drei Bewegungen mit dem Mund und zwei mit den Augen machen soll, dann sind dafür 100 Motoren nötig. Und jedesmal, wenn man noch eine Bewegung haben will, muss man 20 weitere Motoren einbauen.

Dienstag, den 9. Dezember 1980

Nachdem ich Howdy fotografiert hatte, setzte mich auf den Friseurstuhl, den die Puppen-Leute mitgebracht hatten. Sie machten erst meinen Hinterkopf und stülpten mir dazu eine Kappe über. Zwei Fotografen waren dabei; Ronnie machte 3-D-Aufnahmen. Ich bekam Modelliermasse aufs Gesicht, und meine Ohren und Augen wurden abgedeckt. „Zwick mich wenn Du raus willst“, sagte einer. Es machte mich ganz krank. Ich war erkältet und konnte den Schleim nicht abhusten. Endlich nahmen sie die Form ab, und ließen sie prompt fallen „ Wir können sie retten, wir können sie retten“, aber dann wollten sie doch noch einen Abdruck machen und ich sagte: „Nein, das nicht.“ Sie steckten meine Hände in das Zeug, doch es gab Luftblasen, so dass ihnen bei diesem Versuch ein paar Finger verlorengingen. Dann waren meine Zähne an der Reihe. Während das so weiterging, kam Ron Reagan.


Montag, den 1. August 1983
Peter Sellers und Lou Allan kamen zum Lunch. Sie haben für die Puppe ein Appartment gemietet. Diese Nachbildung von mir, eine Art Roboter, spielt die Hauptrolle in „An Evening with Andy Warhol“. Das ganze soll im November losgehen und ein Jahr lang laufen. Sämtliche Magazine wie „Life“ sollen groß darüber berichten.


B Die Philosophie

„Ich wache auf und rufe B an.
B ist jemand, der mir hilft, die Zeit totzuschlagen.
B ist jemand, und ich bin niemand. B und ich.
Ich brauche B, weil ich nicht allein sein kann. Außer wenn ich schlafe. Da kann ich nicht mit jemand zusammensein.
Ich wache auf und rufe B an.“ (S. 11)

„ (...) Aber bin ich selbst auch getarnt? Ich muß im Spiegel auf Spurensuche gehen. NICHTS fehlt. ALLES vorhanden. Der emotionslose Blick. Der kaputte Charme ...“
„Was?“
„Das temperamentlose Wesen, die kränkliche Blässe ...“
„Die was?“
„Die richtige Portion Ausgeflipptheit, das passive Staunen, das grandiose Über-den-Dingen-Stehen ...“
„WAS?“
„Die gespielte Freude, die verräterische Körpersprache, die kreideweiße Gnomenmaske, der leicht slawische Einschlag ...“
„Leicht ...“
Die kindische, Kaugummi kauende Naivität, der ganze aufgeblasene Zauber, der aus der Verzweiflung kommt, die überhebliche Gleichgültigkeit, die perfektionierte Andersartigkeit, die paar Haarbüschel, die zwielichtige, voyeuristische, etwas düstere Aura, die bleiche, leise sprechende magische Erscheinung, Haut und Knochen ...“
„Moment mal, ich muß aufs Klo.“
„Die albinoweiße Haut. Pergamentartig. Reptilhaft. Fast blau ...“
„Hör auf! Ich muß mal!“
„Die knochigen Knie. Narben wie eine Straßenkarte. Die langen knochigen Arme, so weiß, als seien sie gebleicht. Die abwehrenden Hände. Die kleinen Augen. Segelohren ...“
„Segelohren? Oh, A!“
„Die farblosen Lippen. Die ausgefransten, weichen, metallischen, silberweißen Haare. Die Haarstoppeln an dem großen Adamsapfel. Es ist alles vorhanden, B. NICHTS fehlt. So bin ich, so hab ich´s schwarz auf weiß in meiner Kritikensammlung stehn.“ (S. 17/18)


„Ich begann also in den späten fünfziger Jahren eine Affäre mit meinem Fernsehapparat, die bis heute fortdauert, wo ich nun in meinem Schlafzimmer gleich mit vieren auf einmal herumspiele. Ich habe jedoch erst 1964 geheiratet, als ich mein erstes Tonbandgerät bekam. Meine Frau. Mein Tonbandgerät und ich sind nun seit zehn Jahren verheiratet. Wenn ich „wir“ sage, meine ich mein Tonbandgerät und mich. Manche Leute verstehen das nicht.

Mit dem Erwerb meines Tonbandgeräts ging das, was ich an Gefühlsleben gehabt haben mag, endgültig zu Ende, und ich war froh darüber. Nichts ist jemals wieder zu einem Problem geworden, weil ein Problem jetzt immer nur ein gutes Tonband war, und sobald sich ein Problem in ein gutes Tonband verwandelt, ist es kein Problem mehr.“ (S. 32)


Perennially controversial, Warhol reached mythic proportions in the 1960s largely because his motives were almost totally obscure ... („Webster's Biographical Dictionary“)



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In Kooperation mit dem Museum Brandhorst München
Mit freundlicher Unterstützung von
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